Brieffreundschaft

Es lebte einst ein Jurist mit großer Familie in Hussum und wechselte Briefe mit einem Junggesellen in Zürich, der einmal Maler hatten werden wollen, 10 Jahre lang. Die beiden lernten sich nie persönlich kennen und hatten abgesehen von zwei oder drei Freunden nur eines gemeinsam – beide zählten zu den bedeutendsten Schriftstellern des bürgerlichen Realismus im deutschsprachigen Raum. Theodor Storm und Gottfried Keller.

Den Briefwechsel der beiden, herausgegeben von Albert Köster 1904, gibt es als Scann bei Archive.org

Ich habe sie gelesen, nicht in einem aber in zwei Zügen, 220 Seiten Fraktur Scann, mit großem Vergnügen. Dabei mag ich Keller gar nicht mal besonders. Er ist mir zu realistisch und zu bürgerlich. Probehörenderweise habe ich einige seiner Werke kennengelernt, er erfreut sich bei LibriVox großer Beliebtheit, aber er ist mir nie ans Herz gewachsen. Ganz anders Storm, sein Schimmelreiter war die einzige Schullektüre, die mich wirklich angesprochen hat (und ich habe alle pflichtschuldigst und teilweise auch mit Interesse gelesen, bis auf die Buddenbrooks). Storm war für mich ein Liebe auf den ersten Blick und er ist es bis heute geblieben. Der Schimmelreiter war das erste, was ich für LibriVox aufnehmen wollte, aber da ist mir Felix zuvorgekommen. Dann liebäugelte ich mit Pole Poppenspäler und Aquis submersus, aber während ich noch liebäugelte, hat Christian sie aufgenommen.

Storm ist bürgerlich und realistisch, ebenso wie Keller, aber er ist mehr. Storm ist sehr emotional, die Gefühle in seinen Texten sind wahr und tief und ehrlich. Sein Werk, Lyrik wie Prosa, ist von einer tiefen Melancholie, die mir nicht fremd ist. Es will mir scheine, dass Storm sich traute, auf die Gefühle zu sehen, sich ihnen auszusetzen und Worte für sie zu finden, wo es vielen anderen Autoren genug war, sie von fern zu ahnen und anzudeuten. Und er hat einen Hang zur Spökenkiekerei. In vielen seiner Werke gibt es einen leisen Zug ins Unheimliche, einen Hauch des Übernatürlichen, was mir natürlich besonders gut gefällt. In seinen Märchen kommt das besonders zur Geltung und die hatte ich bei LibriVox zu meiner großen Freude fast ganz für mich allein.

Aber zurück zu den Briefen. Storm eröffnet den Briefwechseln als er selbst 60 und Keller 58 Jahre alt war, beide schon bekannte und gefeierte Schriftsteller auf der Höhe ihres Ruhm. Jeder kannte und schätzte die Werke des anderen und als zusätzlichen Anknüpfungspunkt gab es die gemeinsamen Freunde Wilhelm Petersen und Paul Heyse. Er schickt Keller seine gerade erschienene Novelle Aquis submersus, spart nicht mit Lob für den Kollegen, kann es sich aber doch am Schluss des Briefes nicht verkneifen, auch eine kleine Kritik anzubringen. Das ist typisch für Storm. Schon in seinem Briefwechsel mit dem sehr viel älteren Mörike hält er mit seiner Meinung nicht hinterm Berg. Er ist da sehr direkt. Überhaupt scheint Storm als Mensch sehr offen und an anderen Menschen sehr interessiert gewesen zu sein. Dem Brieffreund Keller schreibt er regelmäßiger und öfter, Keller lässt zwischendurch immer wieder lange nichts von sich hören und seine Briefe geben von ein paar Episoden abgesehen nicht viel Einblick in sein tägliches Leben. Storm dagegen erzählt von der Familie, den Kindern, den Freunden, die zu Besuch kommen, er erwähnt Reisen, die er unternommen hat und immer wieder lädt er den Brieffreund zu sich ein oder spricht von einem Treffen in Berlin, das aber nie zustande kommt. Keller hatte wohl kein großes Interesse daran. Er weicht den Einladungen zunächst aus und später antwortet er gar nicht mehr darauf. Keller scheint nicht gerne Briefe geschrieben zu haben. Ein oder zwei mal erwähnt er, wie sehr er mit seiner ganzen Korrespondenz hinterherhinkt.

Storm ist ganz offensichtlich derjenige, dem die Brieffreundschaft mehr am Herzen liegt, Interesse aneinander hatten wohl beide. Bei Storm paart sich dass mit einer großen Lust am Briefe schreiben und auch einer gewissen Disziplin. Fast jedes Jahr kurz vor Weihnachten schreibt er dem Freund, egal ob er gerade „dran“ ist oder nicht. Bei Keller hält sich das Interesse für den Kollegen die Waage mit einem Gefühl der Lästigkeit, will mir scheinen, und auch einer gewissen Resignation angesichts der Tatsache, dass Storm in diesen Jahren weiter schafft, während sich Keller das Wenige, das er schreibt, mühsam abringen muss, und dabei fühlt, dass es nicht so gut ist wie seine früheren Werke.

Immer wieder kann man den beiden Autoren bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen, das ist sehr spannend. Auch interessant, was sie über andere Kollegen gedacht haben. Nebenbei erfährt man einiges über das damalige Verlagswesen und auch das Urheberrecht und Raubkopien spielen eine Rolle.

Seinen vorletzten Brief muss Storm diktieren, wegen schwerer Krankheit „deren Weg mich mehrmals an den schwarzen Seen vorbeiführte“. Keller antwortet nicht. Ein Jahr später schreibt Storm erneut den Weihnachtsbrief, in dem er erzählt, dass es ihm wieder besser geht. Keller antwortet nicht. Ein halbes Jahr später stirbt Storm an Magenkrebs.

Bei Archive.org gibt es noch den Briefwechsel mit Mörike und den Briefwechsel mit Heyse. Die werde ich in nächster Zeit auch lesen und freue mich schon sehr darauf. Mit Storm hätte ich gerne einmal eine Tasse Tee getrunken. Sehr gerne würde ich solche Briefe bekommen, wie er sie schrieb, und würde auch gerne solche Briefe schreiben können.

Theodor Storm und Gottfried Keller bei LibriVox

Das ist mein liebstes Gedicht: Weiße Rosen – Klicken zum Anhören.

Bei Wikimedia Commons fand ich noch das:

Theodor Woldsen Storm […] studied and practiced law in Schleswig-Holstein and – emigrated under Danish rule – in Thuringia. He also wrote a number of stories, poems and novellas.

Na ja.