Um es gleich vorweg zu sagen, ich habe keine Ahnung von Musik, spiele kein Instrument und kann keinen geraden Ton singen. Doch seit etwa einem Jahr hat mich der Opernwahn in den Klauen und ich hoffe, er lässt so schnell nicht mehr los. In meinem speziellen Fall konzentriert sich der Wahn auf die Musik des Barock, Händel, Vivaldi und Konsorten. Zuerst habe ich gehört und gesehen, was das Netz so her gibt (erstaunlich viel!) dann habe ich angefangen CDs zu kaufen und im Mai habe ich mich dann das erste mal getraut, eine Oper live anzusehen. Fantastisch!
Es ist ein ganz besonderes Erlebnis, handgemachte Musik live zu erleben. Wir sind ja so an Konserven, elektronische Verstärkung, digitale Bearbeitung gewöhnt. In einer Oper gibt’s das alles nicht, nur die Musiker mit ihren Instrumenten und die Sänger auf der Bühne. Und der Klang, der dabei heraus kommt, ist unbeschreiblich. Das kann man auch mit der besten Stereoanlage nicht zu Hause erleben.
Gestern also Idomeneo von Mozart in Frankfurt. http://www.oper-frankfurt.de/de/page1020.cfm?stueck=481
Nach Frankfurt zu kommen, ist immer ein Abenteuer. Ich mag nicht mit dem Auto fahren, weil ich mich nicht auskenne und dann in der Innenstadt einen Parkplatz suchen – du liebe Güte! Also S-Bahn. Das Bahnticket ist ja in der Eintrittskarte enthalten. Man stelle sich das vor, man bezahlt 13, 14, 15 € für einen der billigen Plätze und bekommt zusätzlich ein Bahnticket, das schon alleine genau so viel oder doppelt so viel kosten würde. Wenn das kein Deal ist! Also mit dem Auto an einen der nächsten Bahnhöfe, von denen ich hier einige zur Auswahl habe, und dann in den Zug, umsteigen in die U-Bahn und schon ist man da. So weit, so gut. Die Rückfahrt gestaltet sich da schon schwieriger. Es gibt auch nachts um elf noch genug Züge in meine Richtung, aber halten die dann auch an dem Bahnhof, an dem meine Auto steht? Und der Bahnhof, zu dem alle Züge fahren, hat ausgerechnet keinen Parkplatz. Mit etwas Getüftel findet sich dann eine Verbindung, die passt, aber wehe, wenn man die ver-passt, dann sitzt man eine Stunde in FfM fest, was für ein Mädel nachts allein keine angenehme Vorstellung ist.
Dann die nächste Frage: Was ziehe ich an? Diese Frage stellen sich Mädels ja gerne und öfters, aber mal ehrlich, was zieht „man“ denn in der Oper an? Das Netz ist voller aufgeregter Meinungen, was da alles „absolut uuunmöööglich“ ist. Vor meiner ersten Oper war das eine wichtige Frage für mich, hatte keine Lust, mir den lang ersehnten Opernabend durch die missbilligenden Blicke snobistischer Bildungsspießbürger trüben zu lassen. Hab mich dann für elegantes Schwarz mit einem etwas dramatischen roten Schal entschieden und lag nicht schlecht damit. Man sieht alles, karierte Hemden, schlabberigen Strickpullis und lange Abendroben, der Großteil des Publikums ist „fein gemacht“, etwa so, wie man auch zu einer Hochzeit oder dem runden Geburtstag der Großtante gehen würde, aber die „großen Geschütze“ sieht man selten. Ich finde es sehr schön, mich für so einen Anlass etwas eleganter anzuziehen, es unterstreicht das Besondere des Abends, aber ich würde mich nicht so weit erheben, über jemanden die Nase zu rümpfen, der in Jeans und Turnschuhen geht. Ganz im Gegenteil hätte ich eher Respekt für so ein Mode-Statement, ob bewusst oder unbewusst. Respektlos gegenüber den Künstlern finde ich so ein Out-fit jedenfalls nicht, die sehen das eh nicht wirklich. Wichtiger wird den Künstlern ein volles Haus, ein aufmerksames Publikum und der Applaus am Ende sein.
Wie war sie denn nun, die Oper gestern Abend? Schööön! Sehr schööön! Mozart ist einfach ein Genie. Idomeneo ist ein früher Mozart, ziemlich wild und hochdramatisch. Die Oper steht noch sehr in der Tradition der barocken Opera seria. Idomeneo (Daniel Behle), der König von Kreta, gerät auf dem Heimweg vom trojanischen Krieg in Seenot und gelobt Neptun, für seine Rettung den ersten Menschen zu opfern, den er zu Hause erblickt. Das ist ausgerechnet sein Sohn Idamante (Jenny Carlstedt). Idomeneo zögert das versprochene Opfer hinaus, versucht seinen Sohn zu retten, aber Neptun lässt nicht mit sich spaßen. Ein Ungeheuer erscheint (nur in der Musik, nicht auf der Bühne), verwüstet die Stadt und verschlingt die unschuldigen Bürger zu Tausenden. Idamante bietet sich schließlich freiwillig als Opfer an. Natürlich geht es auch um Liebe. Da ist die schöne trojanische Prinzessin Ilia (Anne-Catherine Gillet), die beide lieben, der Vater und der Sohn. Sie liebt Idamante, aber er ist ja der alte Feind. Dann ist da noch Elektra (Katie Van Kooten), die auch Idamante liebt, aber der will ja Ilia, die Tochter des alten Feindes. Welche Schmach! In moderneren Opern wird ja gerne viel gestorben, hier sind wir noch ein bisschen in der Nähe der Barock-Oper, wo es, egal wie sehr an den Haaren herbei gezogen, ein Happy End geben muss. Idamante und Ilia kriegen sich am Ende, aber die Freude ist getrübt. Idomeneo ist ein gebrochener Mann und Elektra hat eine furiose Zornesarie (für mich eins der Highlights des Abends!), die sie zumindest in dieser Inszenierung nicht überlebt.
Die Inszenierung hat mir gut gefallen, der Kern der Geschichte wird ohne viel Schnickschnack erzählt, was der Musik viel Raum lässt. Die Bühne ist karg, was ich mag. Nichts ist schlimmer, als Sänger, die sich im Dreck wälzen oder gegen überschäumende Regie- und Dekorationsidee ansingen müssen, weil der Regisseur unbedingt das Rad neu erfinden und dem Publikum seine Interpretation der Geschichte mit dem Holzhammer in den Kopf dreschen will. In der Oper will ich in erster Linie die Musik hören und die Geschichte erzählt bekommen. Je schlichter die Inszenierung, desto mehr kommt die Musik zu ihrem Recht, und interpretieren kann und will ich selbst, danke bestens. Natürlich ist jede Inszenierung auch eine Interpretation, diese kommt ohne Holzhammer und Geschmacklosigkeit aus, ganz meine Linie.
Die Sänger waren durch die Bank gut und besser, schöne Stimmen, mit viel Ausdruck und Gespür für die Rollen gesungen. Daniel Behle kannte ich schon von einer CD und habe mich besonders darauf gefreut, ihn live zu hören. Sehr schön! Mich nervt die elitäre Krümelpickerei, die man in vielen Rezensionen liest, kleine Schwächen hier, Schönheitsfehler da, blablabla, als wäre eine Besprechung nur komplett, wenn man möglichst an jedem Sänger auch was zu meckern findet. Das Orchester war toll. Zwischendurch musste ich mir immer wieder vergegenwärtigen, dass da unten plus/minus 20 Menschen sitzen, die diese fantastischen Klangwelten mit nichts weiter als ein bisschen Holz und Blech erzeugen. Nix Eletrick, aber ganz viel Können und perfektes Zusammenspiel. Der elitäre Bildungsbürger mag jetzt einwenden, dass man das von Profis ja wohl auch erwarten darf. Aber versuch doch mal, selbst etwas so perfekt hinzukriegen! Wer keine Bewunderung mehr für handwerkliches Können aufbringen kann, der kann eigentlich gleich zu Hause bleiben.
Die Oper Frankfurt ist übrigens mit dem Preis OPERA COMPANY OF THE YEAR 2013 ausgezeichnet worden, vor der MET, vor der Scala. Das will was heißen!
Also, liebe Leser, falls Ihr in der Nähe von Frankfurt wohnt, Idomeneo gibt es noch mal am 28.9. und am 6.10. Hingehen, anhören, ansehen! Es lohnt sich! Und wenn Ihr anderswo wohnt, gibt es vielleicht auch in Eurer Nähe eine Oper. Oper gucken ist ein kulturelles Abenteuer, das man mal gewagt haben sollte.
Ich freue mich als nächstes auf Ezio von Gluck, auch in Frankfurt, mit meinem absoluten Nummer 1 Lieblingssänger, dem fantastischen Counter-Tenor Max Emanuel Cencic. Wie es aussieht, wieder allein. Hat vielleicht jemand Lust, sich das mit mir zusammen anzutun?
Also in Berlin sind Jeans in der Oper absolut üblich.
Weiß noch wie sich ebenfalls Ex-Berliner Kollegen damals in der Provinz amüsiert haben, wie man sich dortzustadt aufgebrezelt hat für die Oper. („Naja, bei denen ist das halt auch was Besonderes…“)
Ist es doch auch, oder nicht? Etwas Besonderes im Sinne von besonders Feines, meine ich, egal, wie oft man Gelegenheit hat, oder sie ergreift, hinzugehen. Es scheint aber, als würde man im Süden mehr brezeln als im Norden, jedenfalls hab ich das mal so gelesen. Rhein-Main hält wohl die Mitte mit mäßiger Brezeltendenz und Ausreißern nach beiden Richtungen. Und im Vergleich zu Berlin ist ja ohnehin alles Provinz, gelle 😉
Für Berlin und besonders auch für besagte Kollegen war es halt nichs „besonders Feines“. 😉
Wobei der Berliner an sich ja sowieso eine Tendenz zur kleidungsmäßigen Schluffigkeit hat.
Oper ist nicht so meins, aber dafür habe ich vor einigen Monaten Spoken Word Poetry aka PoetrySlam für mich entdeckt – falls du Poesie nicht abgeneigt bist kann ich das wärmstens empfehlen 😀
Ja! Das ist auch was Feines.